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Lehrer sind große Kinder. Sie denken, fühlen und reagieren vielfach wie Kinder, mit dem Unterschied, dass ihre Körper denen der übrigen Erwachsenen gleichen. Ihr Verhaltensrepertoire weist verblüffend viele Analogien zu ihren Schülern auf. Wer jemals bewusst beobachtet hat, wie manche Lehrer mit Schülern kommunizieren, wie perfekt ihre Gebärdensprache auf diejenige der von ihnen Auszubildenden abgestimmt ist, bekommt eine Ahnung davon, dass Lehrer nicht mit normalen Erwachsenenmaßstäben zu beurteilen sind.
Lehrer sind als Schüler in der Nachmaturaklasse verblieben. 
Dort bilden sie eine Zwangsgemeinschaft, in der um die Anerkennung des Klassenvorstands, will heißen Schulleiters, gebuhlt wird. Das Rivalisieren um die Position des Klassenprimus feiert fröhliche Urständ. Dass freilich manchen Schülerlehrern das Treiben ihrer übrigen Mitschüler suspekt ist, tut dem allgemeinen Wetteifern keinen Abbruch.
Wie in jeder gewöhnlichen Schulklasse auch, finden sich neben den reinen Strebern, die unkritisch auswendig lernen, bei Prüfungen aber immer bestens abschneiden, ebenso die Hochtalentierten, welche die Streber jederzeit in den Schatten stellen könnten, so sie nur wollten. Ihre Zensuren nähern sich allerdings lediglich dem Mittelmaß, da sie partout das nicht lernen, was ihnen vorgesetzt wird. Dieses Manko machen sie durch ihre Intelligenz aber mehr als wett. 
Die Mittelfeldspieler stellen wie immer das Gros. Unauffällig und angepasst erbringen sie ihre Leistungen, stechen nicht nennenswert hervor, werden dafür von der schulischen Hierarchie jedoch auch in Ruhe gelassen.
Vom Lob des Klassenvorstandes gänzlich unbeleckt bleiben die Minimalisten. Sie haben ihr Reifeprüfungszeugnis schon in der Tasche und wollen kein weiteres mehr erwerben, beteiligen sich demnach auch nicht mehr am allgemeinen Gunstwettstreit. Häufig sind sie in den letzten Bankreihen anzutreffen.
Da jede Nachmaturaklasse ihr jeweiliges Profil besitzt, wobei die Bandbreite von lernwillig-interessiert bis zu lernfaul-renitent reicht, wird kein Lehrerkollegium dem anderen gleichen, wiewohl das atmosphärische Umfeld stets dasselbe bleibt. 
Es macht keinen Unterschied, ob das Klassenzimmer modern oder antiquiert ausgestattet ist; Klassenzimmer bleibt Klassenzimmer. Die Schüler sind es, die das Zimmer definieren.
Und diese Schüler bilden innerhalb des Klassenverbandes diverse Gruppen und Grüppchen, kennen Klassenstars, Hackhühner und sozial isolierte Einzelindividuen. Hierarchiekämpfe werden oft mit voller Brutalität ausgetragen. Dann fließen Blut und Tränen. Alle erdenklichen menschlichen Reaktionen finden hier auf dicht geballtem Raum ihren Ausdruck.
Daran hat sich bis heute nichts verändert. 
Schüler hoffen, bangen, lernen, weinen, petzen, verklagen, wollen Anerkennung, Zuwendung, Liebe, brauchen Freunde, Verbündete und Leidensgenossen, lachen und sind kindisch, freuen sich über Lob, gute Noten, Urkunden und Medaillen und verhalten sich unter richtiger pädagogischer Führung ihres Klassenvorstands fromm wie Nonnen.
Ein bisschen Zucker hier, ein wenig Peitsche da, ein Schälchen Freiraum auch, dazu ein Prischen Observanz - und fertig ist die Pädagogen-Patronanz.
Schulleiter, welche das Mischungsverhältnis dieser Rezeptur in ihrem Aktenschrank wie ihren Augapfel hüten, werden in ihren Mitarbeitern Nachmaturanten erster Güte vorfinden, wenn ihnen nicht der Staat mit seiner Beamtenhatz am Ende noch das redliche Bemühen madig macht und solcherart das Renegatentum im Klassenverband fördert.
Nachgerade mit Schülern will behutsam und mit Augenmaß umgegangen werden, da ansonsten der labile Gleichgewichtszustand im Klassenzimmer jederzeit kippen könnte. Und weil Lehrer tief in ihrem Persönlichkeitskern Schülernaturen geblieben sind, muss man ihnen gegenüber auch eine entsprechende Sensibilität walten lassen, um sie nicht zu vergraulen, denn schließlich wollen die meisten das Klassenziel ja doch erreichen.
Von der Schule in die Schule. 
Lehrer haben seit ihrem sechsten Lebensjahr nichts anderes als Schule kennen gelernt. So waren etwa Lehrer an Gymnasien und Akademien nahezu eine Generation lang selber die Beurteilten, ehe sich das Blatt wendete, die Rahmenbedingungen jedoch ähnlich blieben. Der Jahresrhythmus der Pädagogen war von jeher der schulische.
Mit eherner Gesetzmäßigkeit, unbeeinflussbar und fest normiert, drehen sich die Zeiger der Schuljahresuhr seit der Lehrerkindheit von der 18-Uhr-Stellung zur 18-Uhr-Stellung, jener für Lehrer markantesten und mit Abstand wichtigsten Zeigerposition, dem Symbol für ersten Juli und die große Freiheit. 
Nie haben Lehrer ihren Urlaub im wonnevollen Mai oder blattbunten Spätherbst genießen dürfen, zu fremdbestimmt ist der Jahresablauf der Pädagogen.
Doch im Sommer öffnet sich das Lehrerherz und triumphiert über schnöde, gebeckmesserte Zeitzerlegung. Der Sommerferienbeginn ist den Pädagogen heilig und hat für sie eine ähnliche Bedeutung wie für viele der Silvester. Hier, zur Jahreshälfte, werden erst die guten Vorsätze gefasst, hier beginnt das wahre Leben. 
Je älter die Lehrer werden, desto sehnsüchtiger erwarten sie dieses Datum. Manche schleppen sich sogar unter Aufbietung letzter Kraftreserven hin zu diesem magischen Termin, ja, leben eigentlich nur für ihn. Die kommende Periode wohliger Ruhe und seligen Friedens soll und wird die Verwirklichung all dessen bringen, wozu sich das übrige Jahr nicht in der Lage zeigte. Die Zeit scheint dann stillzustehen.
Doch leise, ganz, ganz leise, nur für Lehrerohren vernehmbar, beginnt sie abermals zu ticken, sie, die Uhr des Schuljahres, und kündigt den herbstlichen Auftakt wieder an, einen Auftakt mit Bomben und Granaten. 
Jeder Lehrer weiß über die ihm noch verbleibende Galgenfrist absolut Bescheid. Er zählt sie schon, die Tage. Manche werden depressiv, wenn das neue Schuljahr näher rückt. Viele unternehmen im letzten Abdruck noch Reisen, welche sie genauso gut auch etwas früher antreten hätten können, und wollen den Schulanfang dadurch ignorieren; glattweg ignorieren.
Es ist wahr, die Lehrer besitzen einen anderen Bezug zur Zeit als die übrige Bevölkerung. 
Jahraus, jahrein von den Schulglocken gehetzt, die Arbeitszeit in fünfzigminütige Intervalle zerhackt, den Blick stets auf die Armbanduhr geheftet, sind die Ferienzeiten die berühmten Auszeiten des Daseins, in denen Zeit zu einer relativen Größe wird.
Wenn der frühe Herbst die Pädagogen aller Schularten wieder in seinen Unterrichtsbann gezogen haben wird, werden sie die Zähne zusammenbeißen und vor allem eines wollen: Liebe, nichts als Liebe.
Lehrer sind eine ausgesprochen liebeshungrige Spezies. Die großen Kinder wollen von den kleinen um alles in der Welt geliebt werden. Nur Lehreraugen können über Schmeicheleien, Zuwendung und Lob so leuchten. 
Schülerseitige oder bisweilen elterliche Anerkennungsgaben - im österreichischen Schulrechtsdeutsch: ortsübliche Aufmerksamkeiten geringen Werts (nur solche dürfen Lehrer entgegennehmen) - werden wie Siegestrophäen den Blicken der Schulöffentlichkeit preisgegeben. Die Blumensträuße, Wein- und Cognacflaschen wie Kugelschreiberetuis zieren hernach im Konferenzzimmer dekorativ einen Halbtag lang die Miniarbeitsfläche des glücklichen Kollegen. Nur die guten Lehrer würden solcherart beehrt, lautet die autosuggestive Umdeutung der Beschenkten.
Da Lehrer süchtig sind nach Anerkennung jeglicher Art, sind sie - ein geschicktes direktoriales Führungsverhalten vorausgesetzt - relativ leicht steuerbar. Ein paar aufmunternde Nettigkeiten, beiläufig ins Gespräch gestreut, lassen Lehrerherzen höher schlagen. 
Dies hat freilich auch die Dienstbehörde erkannt, indem sie mit Dank- und Anerkennungsschreiben, Auszeichnungen und Ehrungen gar nicht geizig verfährt. Selbst Lehrer, die darüber witzeln, können dem Gefühl des Hervorgehobenwerdens kaum widerstehen und nehmen die Urkunden mit einer gewissen Vornehmheit entgegen. Die wenigsten realisieren vermutlich in diesem Augenblick die treffliche Einsicht Schopenhauers, dass ihnen eigentlich ein Wechselbrief, gezogen auf die öffentliche Meinung, dessen Wert auf dem Kredit des Ausstellers beruht, ausgehändigt wird, ganz abgesehn von dem vielen Gelde, welches sie als Substitut pekuniärer Belohnungen dem Staat ersparen.



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